Beginnen wir die Jahresendabrechnung im Rallyejahr 2020 mit dem Wort des Jahres. Nein, nicht „Corona“, auch nicht „Inzidenz“ – sondern „Absage!“ Zu viele Emails dieses Jahr waren im Posteingang mit der Wendung „… leider müssen wir … absagen“ – Natürlich wegen „Corona“ bzw. der Maßnahmen und Beschränkungen, die die Regierigen in diesem Zusammenhang erlassen haben. Lassen wir an dieser Stelle die Politik mal außen vor und bleiben wir beim Oldtimer-/Youngtimer-/Rallye-Jahr.
Es begann eigentlich ganz verheissungsvoll mit vielen schönen Ausschreibungen und Terminen. 2020 wollten wir mal wieder ein bisschen weiter weg fahren, andere Veranstaltungen kennenlernen: Ahr, Mosel-schiefer, Göttingen, … Anfang Februar fand die erste Teilnahme traditionell bei der Duisburger Winter Ori statt. Da war die Welt noch in Ordnung und es ging wie in den Jahren vorher durch Industriebrachen und neue Gewerbegebiete mit einer Vielzahl von Wendehämmern.
Im folgenden Monat März kam dann das chinesische Virus immer näher und schon bei den Osna Oldies einen Monat später habe ich vorher angerufen, um mich zu vergewissern, dass diese auch wirklich stattfinden. Was der Fall war!
Dann begann die düstere Zeit, die ja mit einer schönen Unterbrechung im Sommer leider immer noch andauert. Lockdown – und an Rallyes war nicht zu denken. Somit hagelte es Absagen und Absagen. In der Zeit dieser Not wurden die „virtuellen Oris“ geboren. In UK startete die HERO Table Top Rallye mit typisch britischen Regularien, in Deutschland stampfte Peter Beckers die Mutter aller virtuellen Oris aus dem Boden. Die „Virtuelle Frühlingsfahrt“ (VFF) hat seitdem einen Namen wie Donnerhall. Nicht nur wurde hier die gesamte Rallye- und vor allem Ori-Prominenz aus Deutschland versammelt. Nein, hier wurde ein Maßstab gesetzt. Ganze 6 Etappen wurde sich virtuell verfahren, vom 02.04. bis zum 15.05. Jede Woche neue Aufgaben im höchsten Schwierigkeitsgrad. Klasseneinteilungen gab es keine und so fuhren alle Teilnehmer rund um den Indemann und quer durch die Eifel gemäß den Beckerschen Fein- und Gemeinheiten. Wenn man nun arbeitet (wenn auch mit 50% Gehaltskürzung, genannt Kurzarbeit) und dann noch abends jeweils eine neue HERO Aufgabe löst, sowie je Woche eine neue VFF-Aufgabe, ja dann kann das schon mal in Stress ausarten. Im neuen, virtuellen, Zeitalter gibt es auch „neue“ Umgangsformen, in der Regel nämlich per Email oder parallel in den (a-)sozialen Medien. Hier habe ich auch „schöne Dinge“ im Rahmen der VFF erlebt:
Beschwerde, ich würde unerlaubtes Material veröffentlichen. Copyright!
Beschwerde, ich würde Musterlösungen ins Internet stellen, die Rallye würde doch noch laufen!
Insbesondere die Musterlösungsbeschwerde rief Heiterkeit hervor, denn mein Bericht war alles andere als eine Lösung und ich in der VFF bei der Platzierung ganz weit hinten. Die Nerven lagen aber corona-bedingt allgemein etwas blank. Auch die Email-Diskussionen mit dem armen Fahrtleiter nahmen latent überhand. Dieser wollte es aber auch wohl fast jedem Recht machen und so war man irgendwie froh, als die VFF dann wirklich ein Ende fand. Man hat aber viel dabei gelernt, auch wenn es einen definitiv „verstrahlt“ hat. Bei jeder Fahrt ist man jetzt geneigt, irgendwelche absurden Fallen zu sehen, wo keine sind.
Doch weitere virtuelle Abenteuer lockten. Anfang Juni die Stay Safe des AC Ahaus und einen Monat später die eco-Mobility Rallye im virtuellen hohen Norden. Im virtuellen E-Auto kann man auch nicht mit leerem Akku liegen bleiben, haha. Ansonsten wurde hier das Becker´sche Erbe wahrhaft würdig weitergeführt. Wenn man zur Lösung in Parkbuchten einfahren und rückwärts ausfahren soll oder irgendwelche Radien berechnen, dann ist der Spass wirklich irgendwann vorbei. Ganz anders die virtuelle Ori in Ahaus. Auch hier gab es mehrere Etappen, die jedoch sehr schlank gehalten waren. Sehr schlank aber nur auf den ersten Blick, denn mit wenig Aufwand/Kontrollen wurden hier durchaus ambitionierte Aufgabenstellungen rund um den Schöppinger Berg geboten.
Mit Frühjahr und Sommer verschwand das böse Virus dann wieder ein gutes Stück und die Regierung gewährte „Lockerungen“. Leider konnten nur wenige Veranstalter auf die neue Zeit wechseln und corona-kompatible Fahrten anbieten. Knackpunkt waren jeweils die sozialen Elemente, also insbes. Start, Mittagspause und Abendessen/ Siegerehrung. Hierauf wollten viele nicht verzichten und haben lieber die komplette Veranstaltung abgesagt. Das ist ein bisschen wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Tief im Westen wollte man sich aber nicht geschlagen geben. Die Ecurie Aix La Chapelle organisierte mit die erste Oldtimerfahrt unter Corona-Bedingungen und mit Hygienekonzept (auch ein „schönes“ neues Wort). Es war ein voller Erfolg. Seitdem kann kein Veranstalter mehr behaupten, sowas wäre nicht möglich. Die Eisbrecher! Ähnliche Fahrten konnten in Herford, Arnsberg, Bad Neuenahr, Bochum und Remscheid organisiert werden. Immer ein wenig anders, aber immer gut und eigentlich hat man als Teilnehmer nicht wirklich viel vermisst. So konnte man sich z.B. in Bochum noch privat im Gasthaus Goerke in Grumme treffen und auch das ewige Warten auf die Siegerehrung entfiel bei diesen Veranstaltungen.
Ganz besonders innovativ fiel die kontaktlose Orientierungsfahrt des MSC Rothenuffeln im Juni aus. Drei Etappen wurden im High-Tech-Style gefahren. Mit dem Laptop auf dem Schoß ging es konspirativ durch das Wiehengebirge und Umgebung. Ganz grosses Kino!
Mit wieder zunehmenden Inzidenzien begann auch wieder das Zittern und Bangen. Zum Glück konnten die Fahrten im Oktober (Bochum, Remscheid) noch statfinden, bevor sich wieder der Lockdown über das Land senkte.
Kurz noch die Tops und Flops im Rallyejahr 2020
Beste Rallye: JEDE die stattgefunden hat!
Innovationspreis 2020: Kontaktlose Ori Rothenuffeln
Fischgräte des Jahres: Ecurie Aix La Chapelle
Nachfolge des Jahres: Staffelstabübergabe bei den Kameltreibern
Schlechteste Verpflegung des Jahres: Zensiert
Beste Verpflegung des Jahres: Frischer Kaffee ans Fahrzeug gebracht sowie Brötchenservice in Herford
Virtuelle Ori des Jahres: Stay Safe AC Ahaus
Gastbeitrag des Jahres: Dr. No.
SK-Orgie des Jahres: 165 Kontrollen in Arnsberg
Etappe des Jahres: Mit Google Street View „live“ durch die britischen Midlands bei der HERO Rallye
Pokal des Jahres: Ecurie Aix La Chapelle
Mannschaft des Jahres: Kamele, Füchse & Fuchsschwänze
Enttäuschung des Jahres: Jede Rallye, die abgesagt wurde, obwohl sie nicht abgesagt werden musste
Der Ausblick auf 2021 stimmt nicht wirklich munter. Zwar planen eigentich alle Clubs und Veranstalter wieder ihre traditionellen Fahrten oder Treffen an den traditionellen Terminen, aber ob diese dann auch wirklich stattfinden können, das steht in der Kristallkugel von Herrn Drosten. Mein Wunsch wäre es, dass die Veranstalter mindestens für den Plan B in einer Kontaktlosen Variante (wie 2020 möglich) planen und nicht wieder die Absageorgie beginnt.
Jahresbericht 2020 von Dr. No
„Rallye Kontaktlos – Oldtimerrallyes unter verschärften Bedingungen“